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Sprecherin des Forums Hausärztinnen: Gedanken zum Weltfrauentag 2022

Anlässlich des heutigen Weltfrauentages wendet sich Agnes Rauter-Ullrich, Sprecherin des Forums Hausärztinnen im Hausärzteverband Westfalen-Lippe in einem Schreiben an alle Hausärztinnen der Region.

 

Liebe Kolleginnen,

vor zwei Wochen dachte ich noch, es würden mich zum diesjährigen Weltfrauentag immer noch die Themen der Pandemie oder vielmehr auch jene, die durch ihr Brennglas erst richtig in den Fokus gerieten, beschäftigen.
Immerhin ist Bewegung reingekommen – die erste paritätisch besetzte Regierung, Aussicht auf bessere Löhne in der Pflege als einem der „Frauenberufe“…

Doch nun wird all das von dem furchtbaren Unrecht überschattet, welches in den letzten zwei Wochen der ukrainischen Bevölkerung widerfährt.
Denke ich heute an Frauen, dann sehe ich die schrecklichen Bilder von Müttern mit kleinen Kindern, von alten und kranken Frauen, die zu Fuß versuchen die rettenden Grenzen zu erreichen, im Wissen, dass sie ihre Männer, Söhne und Väter möglicherweise nie wiedersehen werden. Ich sehe den verzweifelten Mut der Frauen, die bleiben, um den Soldaten Essen zu kochen, Molotowcocktails vorzubereiten oder selbst mit zu kämpfen.
Und ich denke an das, was sie immer wieder sagen: „Es geht um unsere Werte, es geht um Europa, nicht nur um die Ukraine“.

Dass wir solche Bilder mitten im Europa wieder miterleben müssen, zerreißt mir, wie wahrscheinlich uns allen, das Herz.
Selbst wenn dieser verbrecherische Krieg bald enden sollte, ist bereits jetzt eine neue Generation der „Trümmerfrauen“ und Kriegskinder entstanden. Die menschenverachtende Art, Teenager-Jungs als Kanonenfutter zu nutzen, um aus reiner Machtgier so viele Menschenleben zu zerstören, sprengt unsere Vorstellungskraft.
Auch wenn wir hier heute sicher sind, ist der Krieg allgegenwärtig. Unsere Patienten, die andere Kriege erlebt haben, werden retraumatisiert, unsere eigenen Kinder sprechen plötzlich von Atombomben und Fliegeralarm.
Keiner weiß heute, wie lange es dauern wird, ob Tage oder Jahre. Sicher ist nur, eines Tages wird auch das vorbei sein.
Und wieder werden es Frauen sein, die auf den Trümmern (der Städte und der Seelen) Neues aufbauen werden, die trösten, halten und heilen werden müssen und können.

Ich bin sicher, dass es überflüssig ist, Sie aufzurufen, diese Frauen heute und in der Zukunft zu unterstützen. Das tun Sie sicher bereits auf Ihre Weise.
Dank der großen Bereitschaft gibt es viele gut organisierte Hilfsaktionen – auch seitens der Ärzteschaft. Und sobald die Geflüchteten in unseren Städten und Gemeinden ankommen, können und werden wir für sie da sein.

Aber auch ein anderes Bild drängt sich auf, wenn ich an Frauen denke – das der russischen „Soldatenmütter“, die wie bereits vor Jahren bei ihrem Marsch nach Grosny ihre Stimme erheben und allen Repressalien zum Trotz die Wahrheit über das Leid und den Tod ihrer Söhne herausschreien, den diese weder wollten noch verstehen konnten. Zu „ausländischen Agenten“ erklärt (an Zynismus nicht zu überbieten) riskieren sie selbst Leib und Leben und bleiben dennoch standhaft. Wir sollten uns verpflichtet fühlen, in unseren sicheren Städten ebenfalls Zeichen zu setzen und all diesen Frauen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind.

Eine weitere Frau möchte ich heute nicht unerwähnt lassen: unsere Außenministerin. Was wurde sie für ihre Versprecher im Wahlkampf verspottet und als inkompetent dargestellt. Heute zollen ihr die größten politischen Widersacher Respekt für den entschlossenen und wohlbedachten Umgang mit dieser Krise globalen Ausmaßes.

Dieser Krieg auf europäischem Boden ist eine schreckliche Zäsur. Es bleibt zu hoffen, dass der Geist des Zusammenhaltes, der gegenseitigen Loyalität und Unterstützung, der über alle Lager im Westen zu dominieren scheint, erhalten bleibt und es uns gemeinsam überstehen lässt.
Möge der Mut und die Tapferkeit der UkrainerInnen und der russischen Soldatenmütter uns daran erinnern, wie kostbar unsere Demokratie und Freiheit sind, für die diese Menschen kämpfen, sterben und ihre Heimat verlassen.

Ich glaube weiterhin an das Jahrtausend der Frauen, denn da, wo wir beteiligt sind, wird besser aufgebaut, wird sich besser geeinigt, besser versöhnt. Und da, wo Krieg entsteht, sind meistens wenige Frauen an der Entscheidung beteiligt…

Liebe Kolleginnen, behalten wir uns die Zuversicht und den Glauben an unsere eigene Stärke und tragen alle in unseren eigenen kleinen Welten dazu bei, die große Welt ein Stück friedlicher, glücklicher und sicherer zu machen. Sie braucht uns mehr denn je!

Mit herzlichen Grüßen zum Weltfrauentag

Ihre

Agnes Rauter-Ullrich

Sprecherin des ForumsHausärztinnen im Hauusärzteverband Westfalen-Lippe