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In den Niederlanden und in Schweden Liebe zur Hausarztmedizin entdeckt

Nachdem Kathrin Windemuth als Jugendliche noch Innenarchitektin werden wollte, hat sich ihr Berufswunsch nach der Freiwilligen-Arbeit im Krankenhaus geändert. Ab dann war für sie klar, dass sie Ärztin werden will. Beim Medizinstudium in den Niederlanden und einem Erasmus-Semester in Schweden hat sie ihre Liebe zur Hausarztmedizin entdeckt.

Wann war für Sie klar, dass Sie Hausärztin werden wollen?
Kathrin Windemuth: Dieser Wunsch hat sich bei mir über die Jahre entwickelt. Während meiner Schulzeit wollte ich unbedingt Innenarchitektin werden, habe sogar ein Schulpraktikum bei Ikea gemacht. Parallel habe ich allerdings angefangen, regelmäßige Dienste im Krankenhaus zu leisten. Dabei habe ich freiwillig sonntags im Krankenhaus ausgeholfen. Eine Bekannte, die als Pflegerin im Krankenhaus tätig war, hatte mir diese Sonntagsdienste, die damals sogar noch von Nonnen begleitet wurden, als Erfahrung fürs Leben ans Herz gelegt.

Meine Aufgaben waren recht banal: Nahrung austeilen, aus der Zeitung vorlesen, Gespräche anbieten. Sie waren aber sehr erfüllend, da ich wirkliche Unterstützung für Patienten und Personal bieten konnte. Das hat mich begeistert und ich habe es so lange gemacht, bis ich mein Abi in der Tasche hatte. Die Ärzte, die ich während dieser Zeit im Krankenhaus kennenlernte, haben mich teils vor ihrem Berufsbild aufgrund der Arbeitszeiten und Dienste gewarnt, teils aber auch angestachelt, Medizin zu studieren.

Schlussendlich fühlte ich, dass Menschen zu begleiten und Krankheiten heilen zu können, mich mehr erfüllen würde, als leblose Möbel zu verschieben.

Wie ging es dann für Sie weiter? Ich habe dann erst einmal eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin absolviert, mit dem Gedanken eine solide Ausbildung zu bekommen und mit dem Wunsch anschließend mit etwas Wartezeit einen Medizin-Studienplatz zu erhalten. Schon damals war die Wartezeit allerdings relativ lang, wenn man kein 1,0-Abi hatte. 

Nach meiner Ausbildung habe ich mich nach Alternativen umgeschaut. Meine Überlegungen und Bewerbungen gingen nach Belgien, Italien, Frankreich und England. Doch schließlich wurde ich nach einem dreimonatigen Intensivkursus Naturwissenschaften und einer Niederländisch-Sprachprüfung an der Medizinischen Fakultät in Nimwegen aufgenommen.

Anfänglich hatte ich noch erwogen, nach ein bis zwei Semestern nach Deutschland zu wechseln. Allerdings hat es mir dann dort so gut gefallen, dass ich bis zum Ende meines Studiums in den Niederlanden geblieben bin. 

„Medizin-Studium in den Niederlanden praxisorientierter“

Was hat Ihnen in Nimwegen besonders gut gefallen? Die Universität in Nimwegen ist ein Aushängeschild für die Allgemeinmedizin. Während meines Studiums habe ich dort meine Liebe zur Hausarztmedizin entdeckt. Es war spannend, die Patienten näher kennenzulernen, teils ganze Familien in einer Praxis behandeln zu können und teilweise sogar Dorfstrukturen zu ergründen (einen Prinzen zu therapieren und damit ganze Karnevals-Sitzungen möglich zu machen…).

Intensiviert wurde mein Interesse an der Allgemeinmedizin durch mein Erasmus-Semester in Schweden. Dort durfte ich – wie auch in den Niederlanden – bereits Patienten mitverantwortlich betreuen. In der damals beginnenden Flüchtlingskrise eine ganz besondere Situation, die selbst in Schweden in der Hausarztpraxis spürbar war.

Warum gefällt Ihnen die Allgemeinmedizin so gut? Besonders gefällt mir an der Allgemeinmedizin, dass sie alle Fachgebiete verbindet. Die Herausforderung ist das undifferenzierte Patientengut. Man kann viel bewirken und entdecken. Das macht Spaß. Ich bin ein Mensch der gerne kommuniziert. Da wäre ich auf Dauer im Krankenhaus wohl etwas verloren. Nur das Arbeiten im OP fehlt mir ein wenig, aber man kann im ‘Notfall’ ja auch in der Hausarztpraxis immerhin etwas kleine Chirurgie betreiben.

Inwiefern unterscheidet sich das Medizin-Studium in den Niederlanden von dem in Deutschland?
Kathrin Windemuth:
 Zunächst einmal gibt es dort kein Physikum oder Staatsexamen, sondern Bachelor und Master. Nach dem ersten erfolgreich absolvierten Studienjahr dem ‚propedeuse‘ wird den Studentinnen und Studenten bescheinigt, dass man für den Beruf als Mediziner geeignet erachtet wird. Das ist für alle niederländischen Medizinstudenten ein ganz besonderer Moment und wird auch sehr feierlich begangen/geehrt. Man wird dann sozusagen ‚in den Club der Kollegen aufgenommen’. Ellenbogenmentalität oder Überheblichkeit gegenüber den Studierenden habe ich nach meinem ‚propedeuse‘ nur selten erlebt. Im Bachelor wird, wie im Deutschen Physikum, Grundlagenwissen in den Naturwissenschaften vermittelt, allerdings immer auf die medizinische Relevanz bezogen und nie zusammenhangslos. 

Das Studium in den Niederlanden ist auf der anderen Seite sehr verschult. Lange Semesterferien gibt es nicht und spätestens jedes Vierteljahr hat man ein ‘tentamen’ (Klausur/Testat). Man muss also kontinuierlich lernen. Mich hat das nicht wirklich gestört; ich denke, dass es eher förderlich war, schnell fertig zu werden. 

Sind die niederländischen Medizin-Studiengänge den deutschen in Sachen Praxisbezug voraus?
Kathrin Windemuth:
 Vielleicht nähern sich einige deutsche Modelstudiengängen diesem an, aber flächendeckend sind die Niederlande in dieser Hinsicht weiter. Bereits vom ersten Studientag an ist das Studium sehr praxisorientiert. Schon im Bachelor hat man viele Praktika im Krankenhaus, in Hausarzt- und sogar in Hebammenpraxen.

Im Master durchläuft man jedes große Fachgebiet für einige Wochen aktiv in der Klinik. Es werden den Studierenden eigene Patienten zugeteilt - natürlich immer mit einem verantwortlichen Facharzt an der Hand. Auch die kleinen Fachgebiete werden für kurze Zeit durchlaufen. So war ich beispielsweise auch in der HNO und beim Betriebsarzt; das war für mich eine interessante Bereicherung.

Fester Bestandteil des Master-Studiums sind zwei Monate in einer Hausarztpraxis, in denen man an eine eigene Sprechstunde herangeführt wird. Das hat mir besonders viel Spaß gemacht!

„In Deutschland wird man meiner Meinung nach gründlicher ausgebildet“

Warum haben Sie sich dann dazu entschlossen, nach Deutschland zurückzukehren? In den Niederlanden ist das System der ärztlichen Versorgung gänzlich anders aufgebaut. Außerhalb des Krankenhauses gibt es, bis auf Zahnärzte, keine weiteren niedergelassenen Fachärzte.  Wenn man etwas hat, geht man immer erst zum Hausarzt. Wenn dieser nicht weiterkommt mit seiner Expertise, überweist er die Patientin beziehungsweise den Patienten weiter ins Krankenhaus. Dort gibt es große Polikliniken, die ähnlich wie niedergelassene Fachärzte fungieren. Das ganze System in den Niederlanden ist somit viel zentralistischer organisiert.

Hausarzt fungiert in den Niederlanden als „Türsteher“

Der Hausarzt selbst hat dort als ‘portwachter’ („Türsteher“) deutlich mehr ‘fachfremde’ Aufgaben als in Deutschland. Für einen selbst hat das zum Vorteil einen noch abwechslungsreicheren Job zu haben als in Deutschland. So habe ich dort beispielsweise in der Hausarztpraxis Aufgaben übernommen, die hier der Gynäkologe macht, darunter vaginale Abstriche zur Krebsvorsorge oder das Entfernen einer Spirale.Nachteilig für einen selbst ist, dass man in manchen Handlungen nicht die nötige Routine bekommt, weil man sie nicht ausreichend häufig durchführt. Sonografien werden zum Beispiel nur sehr selten in Hausarztpraxen durchgeführt und häufig den Polikliniken überlassen. Das stört mich am Niederländischen System.

Zudem dauert die Weiterbildung in den Niederlanden ‘nur’ drei Jahre. Das finde ich etwas kurzgefasst. In Deutschland wird man in der Weiterbildung meiner Meinung nach gründlicher ausgebildet. Außerdem ist in den Niederlanden die Weiterbildung gleichsam dem Studium sehr verschult mit fast durchgängig vorgeschriebenen Blockpraktika. In Deutschland fühle ich mich freier und kann mir größtenteils selbst aussuchen und einteilen, wo ich meine Weiterbildungs-Zeiten verbringen möchte.

„Die Herausforderung in der Hausarztpraxis ist das undifferenzierte Patientengut“

Sie sind gerade aus der Erziehungszeit zurückgekehrt. Was waren Ihre ersten Stationen in der Weiterbildung? Begonnen habe ich in der Geriatrie. Das war ein gelungener Einstieg, weil man viel Zeit für die Patienten hat. Dort konnte ich mich mit multimorbiden Patienten beschäftigen, die ich später auch in der Hausarztpraxis haben werde. In der Inneren hatte ich dann das volle Programm inklusive vieler Wochenend- und Nachtdienste. Da habe ich in kurzer Zeit viel gelernt und mitgenommen. Man sieht dort andere Krankheitsbilder und lernt Akut-Fälle live kennen und behandeln.

Danach habe ich in einer niedergelassen Allgemeinmedizin-Praxis gearbeitet. Das war bisher der Einsatz, der mir persönlich am besten gefallen hat. Nun verbringe ich einen Teil meiner Weiterbildung in der Psychiatrie, da ich gemerkt habe, wie wichtig dieses Fachgebiet in der Praxis ist.

Als Mutter von drei kleinen Kindern kann ich mir zurzeit ein Fachgebiet wie Innere mit Diensten und unzähligen Überstunden grade nicht mehr vorstellen. 

Im vergangenen Jahr war die KV-Wahl. Bei der Kammerwahl 2019 haben Sie auch kandidiert. Können Sie sich das in Zukunft auch wieder vorstellen? Bei meiner Kandidatur damals habe ich gesagt, dass ich für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eintreten will. Kurz darauf war ich schwanger und in der Folge erstmal raus. Nun muss ich das Berufspolitische zugunsten meiner Familie erst mal hintenanstellen. Aber zukünftig, wenn die Kinder größer sind, könnte ich mir vorstellen, mich wieder mehr zu engagieren. Das würde mir schon Spaß machen.

Können Sie sich irgendwann auch vorstellen, eine Praxis zu übernehmen?
Aktuell nicht, vielleicht, wenn ich älter bin. Ich komme nicht aus einer Arzt-Familie und habe demnach keine Praxis, die ich ‚einfach’ übernehmen könnte. Vor dem ersten Kind habe ich überlegt, mich für ein BWL-Fernstudium einzuschreiben, um in diesem Bereich für eine etwaige Praxisübernahme besser gerüstet zu sein. In meiner derzeitigen Situation denke ich aber eher an eine Anstellung und weitere Fortbildungen mithilfe des Werkzeugkastens des Hausärzteverbandes.

Kathrin Windemuth

  • Ärztin in Weiterbildung, Teilzeit in der Psychiatrie

  • Mutter von drei Kindern

  • 37 Jahre alt

  • Medizinstudium an der Radboud Universiteit Nijmegen 2009-2016

  • Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin 2005-2008  

 Interview: Simone Zettier

Bild: privat