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Gesundheitsversorgung: „Wir sind mittendrin im Hurrikan“

32,5 Prozent aller Hausärztinnen und Hausärzte in Westfalen-Lippe sind über 65 Jahre alt und damit kurz vor dem Ruhestand. Die Nachfolgersuche wird immer schwieriger – weil weniger Ärztinnen und Ärzte nachrücken und es diese verstärkt in Teilzeit- und Anstellungsverhältnisse statt in die Niederlassung zieht. Gleichzeitig stehen ambulanter und stationärer Sektor in Konkurrenz beim Kampf um personelle und finanzielle Ressourcen. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund die medizinische Versorgung der Menschen in Zukunft sicherstellen? Diese Frage stand im Zentrum des berufspolitischen Frühstücks, zu dem der Hausärzteverband Westfalen-Lippe am Dienstag Vertreterinnen und Vertreter aus Gesundheitswesen, Politik, Kreisen, Kommunen und Universitäten der Region eingeladen hatte.

Unter den Gästen, die Anke Richter-Scheer, 1. Vorsitzende des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe, in der Verbandsgeschäftsstelle in Unna begrüßen konnte, waren Dr. Dirk Spelmeyer (Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe), Dr. Claudia Schwenzer (beratende Ärztin der KVWL), Bernd Marchlowitz (Unternehmensbereichsleiter ambulante Versorgung AOK NordWest), Ulrich Adler (Leiter Landesvertretung NRW der Techniker Krankenkasse), Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages), Mario Löhr (Landrat Kreis Unna), Holger Gutzeit (Kreis Unna), Volker Schmidt (Märkischer Kreis), Dr. Richard Schröder (Kreis Recklinghausen), Christiane Schulte-Karwinkel und Stephan Küching (Gesundheitsamt Hamm), Lisa Knuf (Stadt Bocholt), Bianca Funke (Stadt Brilon), Prof. Dr. Horst Christian Vollmar (Leiter Abteilung für Allgemeinmedizin, Ruhr-Universität Bochum), Prof. Dr. Achim Mortsiefer (Leiter Institut für Allgemeinmedizin und Ambulante Gesundheitsversorgung, Universität Witten/Herdecke), Prof. Dr. Nadja Mayer-Wingert (Professorin Gesundheits- und Sozialmanagement, FOM Hochschule), Juliane Sroka (Gudrun Schnoor Steuerberatungsgesellschaft mbH) und Dr. Sebastian Gesenhues, Hausarzt aus Ochtrup.

„Die Ist-Situation ist frustrierend: Die Hausarztpraxen sind mit einer unausgereiften Digitalisierung konfrontiert, die mehr Probleme als Nutzen und Entlastung bringt. Sie leiden unter explodierenden Kosten, ohne dass diese durch angemessene Erhöhung der Vergütung abgefedert würden, und unter einer fehlenden Wertschätzung seitens der Politik“, fasste Anke Richter-Scheer die angespannte Lage in der hausärztlichen Versorgung zusammen. „Aktuell konzentrieren sich die Bemühungen der Politik sehr einseitig auf die Stärkung der Krankenhäuser. Das ist zermürbend für die Kolleginnen und Kollegen an der Basis. Man darf hier die ambulante Versorgung nicht außen vorlassen. Und man muss uns Hausärzte bei der Erarbeitung von Lösungskonzepten beteiligen! Wir haben Ideen – die muss man aber auch hören wollen.“

Es gehe dabei nicht darum, „soundso viel Geld pro Arzt ins System zu pumpen“, betonte Dr. Sebastian Gesenhues, Mitinhaber einer großen Hausarztpraxis im münsterländischen Ochtrup. „Wir müssen die Struktur ändern, damit wir uns auf Dauer Versorgung leisten können.“ Kein Arzt in der ambulanten Versorgung dürfe durch das System vor die Entscheidung gestellt werden, entweder betriebswirtschaftlich oder medizinisch-ethisch zu handeln.

„Die Sorge vor wegbrechender ärztlicher und pflegerischer Versorgung ist uns allen gemeinsam“, betonte Dr. Dirk Spelmeyer. „Wir sind mittendrin im Hurrikan!“ Konzepte wie der jüngst erdachte Gesundheitskiosk könnten da nicht das Allheilmittel sein. Als niederschwelliges Beratungsangebot für die Menschen, die sonst keinen Zugang zur medizinischen Versorgung haben, habe der Gesundheitskiosk in manchen Regionen zwar seine Berechtigung. Im Kreis Unna etwa sei man froh, auf dieses Angebot seit kurzem zurückgreifen zu können, betonte Landrat Mario Löhr. Aber: „Neue Strukturen bedeuten neue Verwaltung. Und neue Verwaltung bedeutet Kosten“, fasste Hubert Hüppe, MdB, zusammen. „Wir sollten eher die Strukturen verbessern, die es gibt.“

Ein freiwilliges primärärztliches System, wie es im Hausarztprogramm bereits seit Jahren gelebt werde, sei hier ein vielversprechender Ansatz, so Anke Richter-Scheer. „Die Erfahrung zeigt, dass es wirtschaftlicher und zielführender ist. Hier steht die Versorgung im Sinne des Patienten im Mittelpunkt.“ Die Wertschätzung für die Praxis, die als Gatekeeper die Patienten lotst und eng mit anderen Fachärzten und Kliniken zusammenarbeitet, müsse weiter verschärft werden, appellierte auch Prof. Dr. Nadja Mayer-Wingert, die an der FOM Hochschule den Studiengang für speziell qualifizierte Medizinische Fachangestellte, die VERAH (Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis) leitet. So solle bestenfalls auch sozialmedizinische Beratung an den Praxen angedockt werden. Zudem brauche es eine Neudefinition der Rollen innerhalb des Systems Praxis. Ein Punkt, der auch Anke Richter-Scheer am Herzen liegt. „Wir müssen den Gedanken der Team-Praxis noch stärker weiterentwickeln und die Versorgung unserer Patienten als Ärzte gemeinsam mit unserem qualifizierten Team organisieren.“

Einigkeit herrschte bei den Gästen darüber, dass auf der Suche nach Lösungen das Wort „Konkurrenz“ zukünftig in den Hintergrund treten müsse. „Wir können dieses Problem nur gemeinsam stemmen. Nur die Kooperation wird es letztlich bringen. Die muss aber auch politisch gewollt sein“, so Dr. Dirk Spelmeyer.

Zusammenarbeit und Austausch soll auch im Nachgang dieses berufspolitischen Frühstücks fortbestehen: „Es ist wichtig, die verschiedenen Akteure an einen Tisch zu holen und im Gespräch zu bleiben. Dafür machen wir als Hausärzteverband Westfalen-Lippe uns stark“, betonte Anke Richter-Scheer. „Schließlich haben wir alle am Ende ein gemeinsames Ziel: die Patientenversorgung dauerhaft zu sichern.“

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