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Dr. Pierre Kandt: Ich mach' mir die Praxis, widdewidde wie sie mir gefällt!

„Ich mach' mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt!“, war das Motto von Pippi Langstrumpf. Und genauso ist Allgemeinmediziner Pierre Kandt nach dem Abschluss seiner Facharzt-Ausbildung vorgegangen.

Eigentlich wollte der 35-Jährige zuerst als angestellter Arzt ins Berufsleben starten, da er aber dort keine Praxis nach seinem Gusto gefunden hat, hat er sich kurzerhand für eine Niederlassung entschlossen.

 „Dann mache ich mir meine eigene Praxis, wie sie mir gefällt“, war daraufhin Kandts Motto. Gesagt, getan, wobei die Umsetzung einige Zeit in Anspruch genommen hat. Vor allem die Suche nach geeigneten Praxis-Räumlichkeiten hat gedauert. Zwei Jahre später darf sich der gebürtige Kölner Praxisinhaber nennen.

Seit Juli hat er sich im münsterländischen Oelde, einer Kleinstadt mit 30.000 Einwohnern, an der A2 und der Bahntrasse Hamm – Berlin gelegen, niedergelassen. Übernommen hat er die HZV-Praxis vom Ehepaar Sprenker, die seit sechs Jahren auf der Suche nach einem Nachfolger waren. Einige Zeit wird ihn Dr. Ursula Sprenker als angestellte Ärztin unterstützen. So ist es zumindest Stand jetzt geplant.

Ab wann wussten Sie, dass Sie Medizin studieren wollen?
Dr. Pierre Kandt:
Erst einmal habe ich eine ganz andere Fachrichtung studiert, und zwar Biomedizinische Technik mit einigen Fächer aus dem Bereich Medizin wie Physiologie und Anatomie. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass ich lieber Medizin studieren möchte. Meine Bachelor-Arbeit in der Biomedizinischen Technik habe ich über Gefäßprothesen geschrieben. Dafür habe ich mit dem Uniklinikum zusammengearbeitet und gewusst: Das ist das, was ich machen will.

Und Hausarzt im Speziellen?
Das hat sich erst im Laufe meiner Zeit als Assistenzarzt ergeben. Ich hatte zuvor ganz viele Facharzt-Wünsche: Zuerst wollte ich Orthopäde und Unfallchirurg werden, dann Anästhesist, dann Kardiologe. Im Laufe der Zeit haben sich immer mehr Vor- und Nachteile der verschiedenen Fachrichtungen herauskristallisiert. Nach den Erfahrungen in der Praxis wollte ich weniger Fachspezialist werden, sondern das Große und Ganze im Blick haben. Daraufhin bin ich in die Hausarztmedizin gewechselt und habe geschaut, ob mir das Spaß macht. Und das ist genau das, was ich mir für die Zukunft vorstellen kann. Dort kann ich meine Schwerpunkte selbst setzen.

Was genau macht am Hausarztberuf am meisten Spaß? 


Am meisten Spaß am Hausarztberuf macht mir, dass man mit so vielen verschiedenen Problemen konfrontiert wird. Man weiß nie, was an einem Tag passiert, und muss spontan darauf reagieren und sich immer neu einlesen. Als Hausarzt hat man immer den Überblick über die verschiedenen Fachbereiche. Das macht mir am meisten Spaß, dass ich nicht jeden Tag nur ein Organ untersuche oder nur ein Beschwerdebild zu sehen bekomme.

„Hausarztmedizin hat mehr zu bieten hat, als man denkt“

Früher war die Fachrichtung Allgemeinmedizin unter Medizinstudierenden nicht so beliebt. Das hat sich mittlerweile gewandelt. Wie haben Sie das im Medizinstudium wahrgenommen?
Im Studium hatte ich tatsächlich nicht viele Berührungspunkte mit der Hausarztmedizin. In meinen Famulaturen bin ich in Praxen geraten, die mir nicht so zugesagt haben. Zu dem Zeitpunkt wollte ich daher kein Hausarzt werden. Das kam erst in der Assistenzarzt-Zeit. Da habe ich gemerkt, dass die Hausarztmedizin mehr zu bieten hat, als man denkt. Viele meiner Kommilitonen haben sich ebenfalls auf den zweiten Blick auch für die Hausarztmedizin entschieden. Von daher habe ich das Gefühl, dass die Hausarztmedizin unter Studierenden immer beliebter wird.

Die Work-Life-Balance spielt eine immer größere Rolle. Viele wollen nicht mehr im Schichtdienst im Krankenhaus arbeiten. Und das wollte ich auch nicht mehr. Ich wollte mein Leben selbst bestimmen.

Bei einer Einzelpraxis wird es mit einer ausgewogenen Work-Life-Balance sicher schwieriger. Derzeit haben Sie eine angestellte Ärztin und sind noch auf der Suche nach Mitstreitern.
Für mich ist eine Einzelpraxis auch nicht das Zukunftsmodell. Ich denke, man sollte sich schon mit anderen zusammentun oder im Verbund mit angestellten Ärzten arbeiten. Als Einzelkämpfer ist es anstrengend, aber man kann seinen Arbeitsalltag so gestalten, wie man das möchte. Im Krankenhaus ist man dagegen sehr festgelegt und bekommt viele Vorgaben.

Nach der Entscheidung Hausarzt zu werden, haben Sie sich direkt niedergelassen. Wie kam es dazu?

Auch das war so nicht geplant. Während meiner Assistenzarzt-Zeit war ich in Münster in einer sehr engagierten Praxis, wollte auf Dauer lieber in eine Kleinstadt. Daraufhin habe ich nach Praxen geschaut, die ähnliche moderne Konzepte haben wie die Praxen in der Großstadt, bin dort aber nicht fündig geworden. Daraufhin habe ich mich – eher aus der Verzweiflung heraus – selbst niedergelassen. Mein Ziel ist es moderne Hausarztmedizin-Konzepte aus der Großstadt in die Kleinstadt zu bringen.  

„Die Praxisbörse des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe sehr geholfen“

Sie haben dann letzten Endes in Oelde eine Praxis übernommen. Das Ehepaar Dr. Sprenker war lange auf der Suche nach einem Nachfolger. Wie haben Sie zueinander gefunden?

Zuerst habe ich versucht herauszufinden, welche Hausarztpraxen Nachfolger suchen. Dabei hat mir die Praxisbörse des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe sehr geholfen. Wenn man weitere Informationen über die Praxen einholen möchte, wie die Größe oder die Leistungen, wird es allerdings schon schwierig. Viele Praxen haben immer noch keine Homepage. Daher habe ich mich zuerst an Praxen gewandt, die eine Homepage besitzen. Die Homepage der Praxis von Dr. Sprenker hat mich damals angesprochen. Dort war alles an Informationen zu finden. Ich habe das Ehepaar dann per E-Mail um ein persönliches Gespräch gebeten. So sind wir zusammengekommen.

Einige Praxen hatten mir gar nicht auf meine Anfrage geantwortet – weder telefonisch noch per E-Mail. So kann man halt auch keinen Nachfolger finden.

Eine eigene Homepage sollte heute selbstverständlich sein…
Oder zumindest ein Google Business Account mit ein bis zwei Bildern, dass man weiß, dass die Praxis existiert und wie sie von innen und außen aussieht. Man muss die Homepage nicht selbst gestalten. Sprenkers haben ihre in Auftrag gegeben und auch ich habe meine nicht selbst aufgesetzt.

Auf lange Sicht plane ich auch ein Termin-Buchungstool und für HZV-Patientinnen und Patienten bieten wir eine spezielle Patienten-App an. Das ist eine Extra-Serviceleistung unsererseits. Wir wollen die Patientinnen und Patienten ein wenig für ihr Ja zum Hausärzteprogramm belohnen, indem wir einen Extra-Service anbieten. Mit der App kann man auf seine Akte zugreifen und mit der Praxis chatten. Medikamentenpläne sind ebenfalls abgespeichert, so dass man benötigte Medikamente ganz einfach nachbestellen kann. Da spart man sich den Anruf oder die E-Mail.

 

„Den Werkzeugkasten Niederlassung kann ich sehr empfehlen“

Sich niederzulassen ist immer ein großer Schritt – vor allem auch aus betriebswirtschaftlicher Hinsicht. Was hat Ihnen geholfen?
Als ich wusste, dass ich mich niederlassen wollte, habe ich alle möglichen Angebote wahrgenommen. Den Werkzeugkasten Niederlassung kann ich sehr empfehlen. Da bekommt man sehr viele praxisrelevante Tipps. (Video) Man lernt dort auch Leute kennen, die einen auch weiterhin unterstützen. Ich habe auch am Mentoren-Programm teilgenommen. Das war für mich auch sehr hilfreich. Interessierte können dort regelmäßig Termine mit einem erfahrenen Hausarzt teilnehmen, sich austauschen und mögliche Probleme besprechen.  

„Selbst als Einzelpraxis ist man nie allein“

Hatten Sie vor der Niederlassung Respekt?
Das auf jeden Fall und es gab auch immer wieder Zweifel, aber jetzt fühlt sich dieser Weg genau richtig an. Ich kann mich so entfalten und alles so gestalten, wie ich möchte. Betriebswirtschaftlich gesehen muss man in das Ganze natürlich erst reinwachsen. Hausärzte müssen aber tatsächlich selten Bankrott anmelden. Es gibt ein geringes betriebswirtschaftliches Risiko. Vieles muss sich aber im Laufe der Zeit erst einmal entwickeln. Derzeit ist jeder Tag eine neue Herausforderung, da Probleme auftauchen, die man vorher gar nicht auf dem Schirm hatte. Durch die vielen Veranstaltungen und auch durch den Hausärzteverband hat man aber Ansprechpartner, die einem in solchen Fällen weiterhelfen. Selbst als Einzelpraxis ist man da nicht allein.

Sie haben eben schon mal die Work-Life-Balance angesprochen. Viele Mediziner entscheiden sich auch diesem Grund für eine eigene Praxis, weil sie sich die Zeit selbst einteilen können. Direkt nach der Übernahme einer Praxis ist es aber wahrscheinlich noch etwas schwierig mit der Work-Life-Balance…
Genau, derzeit ist das noch schwierig, aber das Ziel ist natürlich, sich auf lange Sicht Praxisstrukturen aufzubauen, die eine Work-Life-Balance für alle Angestellten – Ärzte wie MFA – ermöglichen. Da sind alle möglichen Arbeitszeitmodelle denkbar. Es gibt natürlich Vorgaben, an die man sich halten muss, aber Vieles kann man auch selbst entscheiden.

Sie sind ein junger Arzt, der gleichzeitig sein Wissen im Rahmen der Nachwuchsinitiative Allgemeinmedizin schon weitergibt. Was hat Sie dazu bewegt?
Ich fand es sehr hilfreich, dass ich diese ganzen Informationen von anderen bekommen habe. Es ist auch sehr viel mehr möglich, in der Allgemeinmedizin als bekannt ist. Dabei ist der interne Austausch enorm wichtig. Ich habe natürlich noch nicht allzu viel Erfahrung in der eigenen Niederlassung, aber der ganze Prozess läuft ja schon einige Zeit. Aus eigener Erfahrung weiß ich, da gibt es Fettnäpfchen, auf die man aufpassen muss. Im Gegensatz dazu sind andere Sachen aufgrund von Tipps gut gelaufen. Da möchte ich jüngere Kolleginnen und Kollegen gerne unterstützen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Allgemeinmediziner sehr nette Menschen sind. Das ist eine Fachgruppe, die sehr freundschaftlich miteinander umgeht – ohne große Hierarchien und großen Egoismus. Man kann sich mit allen sehr gut austauschen und alle sind sehr hilfsbereit.

Was würden Sie jungen Kolleginnen und Kollegen raten, die damit liebäugeln, in die Hausarztmedizin zu gehen?
Ich würde ihnen raten, sich frühzeitig mit der Thematik auseinanderzusetzen, Mentoring-Programme zu besuchen, sich ein Netzwerk aufzubauen und viele unterschiedliche Fachbereiche anzuschauen. Keine Weiterbildungs-Zeit ist verschwendete Zeit. Je mehr man gesehen hat, desto besser. Man sollte so früh wie möglich in die ambulante Versorgung einsteigen, um dort mehr kennenzulernen. Das ist mit der neuen Weiterbildungsordnung deutlich einfacher geworden.

Auch mit dem Werkzeugkasten Niederlassung sollte man sich frühzeitig beschäftigen, auch wenn die Niederlassung noch gar nicht zeitnah ansteht. Zudem sollte man sich anschauen, was der Hausärzteverband Westfalen-Lippe alles anbietet. Als Studierender oder AIW kann man dort zum Beispiel kostenlos Mitglied werden. Das hat mir ganz viel gebracht, darunter die vielen Informationen, Ansprechpartner und Workshops. Dann sieht man frühzeitig, was einem gefällt und kann danach seine Schwerpunkte setzen.

Dr. Pierre Kandt

  • 2008 – 2011 Studium der Biomedizinischen Technik an University of Applied Sciences (FH) Aachen

    Schwerpunkte Kardiotechnik und Biosensorik

    Thema Abschlussarbeit: Entwicklung und Charakterisierung kleinlumiger Gefäßprothesen aus neuartigen Seidenhybridmaterialen

    Abschluss: Bachelor of Engineering

  • 2011 – 2017 Studium der Humanmedizin an der RWTH Aachen University

  • 2017 Approbation erteilt durch die Bezirksregierung Köln

  • 2018 Promotion an der RWTH Aachen zum Doktor der Medizin

    Thema Doktorarbeit: Einfluss von Nanogelen auf Adhäsion und osteogene Differenzierung von Fibroblasten und Stammzellen

  • 2018 Assistenzarzt für Innere Medizin am St. Antonius Hospital Eschweiler

  • 2018 – 2020 Assistenzarzt für Innere Medizin am Luisenhospital Aachen

  • 2020 – 2021 Assistenzarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am Albertuszentrum Mönchengladbach

  • 2021 – 2023 Assistenzarzt für Allgemeinmedizin in der Hausarztpraxis auf der Geist in Münster

  • 2023 Anerkennung als Facharzt für Allgemeinmedizin durch die Ärztekammer Westfalen-Lippe

  • Zusatzweiterbildung: Manuelle Medizin/Chirotherapie

 Interview: und Videos Simone Zettier

Fotos: Praxis Dr. Pierre Kandt

Bild: privat