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Maren Haiges im Interview: "Medizin ist bunt!"

Von der Narkoseärztin zur Hausärztin ist sicher nicht der gängige Weg in die Hausarztmedizin. Für Maren Haiges, die sich im Juli 2022 mit einer eigenen Praxis in Bochum niedergelassen hat, war es aber genau der richtige. Warum? Das hat sie uns im Interview verraten.

Haiges Maren

Ab wann wussten Sie, dass Sie Ärztin werden möchten?
Maren Haiges: Ich habe im Alter von 15 Jahren meine Mutter nach einer Schilddrüsen-OP im Krankenhaus besucht. Ich erinnere mich noch gut, wie ich damals auf dem Flur gestanden habe und ein paar Ärztinnen und Ärzte an mir vorbeigelaufen sind und ich dachte, das würde ich auch gerne machen.

Meine Noten waren damals aber nicht besonders gut. Ab dann habe ich gezielt daran gearbeitet, dass sie besser werden, damit es in den Bereich des Möglichen rutscht, Medizin studieren zu können. Am Ende hatte ich einen Abiturdurchschnitt von 2,3, habe aber nur zwei Semester gewartet und zur Überbrückung ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) angefangen. Während des FSJ habe ich die Zusage für einen Medizinstudienplatz bekommen. Ich habe in Frankfurt angefangen zu studieren. Aus privaten Gründen habe ich verschiedene Universitäten durchlaufen, bevor ich in Bochum mein Examen gemacht habe. Gebürtig komme ich aus Pinneberg.

„Mir war es immer wichtig, Dinge zu können, vor denen alle anderen Angst haben“

Zuerst haben Sie sich dann für die Anästhesie entschieden.
Genau, ich musste mir im Praktischen Jahr (PJ) ein Wahlfach aussuchen. Ich habe mich für die Anästhesie entschieden, weil ich als Assistenzärztin nicht irgendwann in die Situation kommen wollte, bestimmte Dinge nicht zu können. Mir war es  wichtig, Dinge zu können, vor denen alle angehenden Mediziner Angst haben: Intubieren, Reanimieren, Katecholamine geben, Beatmen, Kreislaufregulation, Intensivmedizin. Da bot sich Anästhesie an – allein, um ganz banal Blut abnehmen und Braunülen legen zu üben. Ein weiterer Grund, warum ich Anästhesistin geworden bin, war, weil das Team und mein Chef so nett waren. Es hat mir dort sehr viel Spaß gemacht.

„Der Quereinstieg in die Allgemeinmedizin in Verbindung mit dem Psychotherapeuten war für mich ganz charmant.“

Was hat den Ausschlag gegeben, auf Hausarztmedizin umzusatteln?
Der Hauptgrund war, dass der Weg der Anästhesistin am Ende begrenzt ist. Es gab ein Schlüsselerlebnis, das ich bei der Nachwuchsinitiative Allgemeinmedizin immer erzähle: Ich kam damals sehr frustriert aus dem OP, nachdem ein relativ junger Kollege mir gesagt hatte, was ich zu tun hätte. Ich habe das anders gesehen. Als Anästhesistin ist man immer Dienstleister, selbst als leitende Oberärztin. Das wollte ich auf Dauer nicht machen, da Stress vorprogrammiert war.

Während meiner Zeit in der Intensivmedizin habe ich mich berufsbegleitend zur ärztlichen Psychotherapeutin ausbilden lassen, da ich so viele traumatisierte Patientinnen und Patienten sowie Angehörige gesehen habe. Der Quereinstieg in die Allgemeinmedizin in Verbindung mit der Psychotherapeutin war für mich ganz charmant. Dann bin ich nach Dülmen gegangen und habe dort noch ein Jahr Innere Medizin gemacht. 

„Ich bin gerne breit aufgestellt, da ich ein großes Sicherheitsbedürfnis habe.“

Sie sind gerne breit aufgestellt?
Ich bin gerne breit aufgestellt, da ich ein großes Sicherheitsbedürfnis habe. Ich bin keine ängstliche Ärztin, aber ich stelle mir schon vor, was mich der Richter fragen könnte, wenn irgendetwas mit der Patientin/dem Patienten passiert.

Haiges mit PatientinUnd nach dem Wechsel in die Hausarztmedizin haben Sie sich direkt niedergelassen.
Das war so nicht geplant. Ich habe meine Weiterbildung gemacht und bin dann schwanger geworden und habe meine Tochter bekommen. Währenddessen habe ich die Psychotherapie-Schiene weiterverfolgt. Nach der Erziehungszeit habe ich ein Jahr in der Psychiatrie gearbeitet , um eine Idee zu bekommen, wie ernsthafte psychiatrische Erkrankungen aussehen, wie ich Psychopharmaka am besten einsetze und was für andere Therapieformen es gibt.

Danach war ich in einer Hausarztpraxis angestellt. Da habe ich festgestellt, dass ich zwar gut mit anderen zusammenarbeiten kann, mich aber als Angestellte immer einem System unterwerfen muss, das ich so nicht unbedingt mittragen möchte. Meistens ging es dabei um Medikamentenverordnungen, mit denen ich nicht ganz so einverstanden war. Das wollte ich lieber selbst entscheiden und habe mir diesbezüglich mehr Spielraum gewünscht. Ich hatte die Selbstständigkeit aber immer im Hinterkopf, auch schon als Weiterbildungsassistentin.

Sie sind mittlerweile auch Mutter. Da ist eine Einzelpraxis sicher eine besondere Herausforderung.
Ich bin mit einer eigenen Praxis auch ein Stück weit flexibler und kann mir beispielsweise die Pausen selbst einteilen. Zudem habe ich den großen Vorteil, dass mein Mann nicht berufstätig ist. Ich habe immer ein Back-up und weiß, dass meine Tochter gut versorgt ist. Das nimmt viel Spannung raus. Ich verbringe viel Zeit mit meiner Tochter am Wochenende und Mittwoch- und Freitagnachmittags hole ich sie auch von der Kita ab.

Sicher ist die Work-Life-Balance eine Herausforderung, weil man viel mit der Praxis beschäftigt ist. Aber Nachtdienste wären noch mal eine ganz andere Nummer. Oder in der Klinik von 8 bis 17 Uhr festzustecken und nicht spontan sagen zu können, dass man nach Hause muss. Ich hatte das in meiner Praxis auch schon ein paar Mal, dass meine Tochter krank geworden ist und es ein kurzzeitiges Versorgungsproblem gab. Da habe ich sie dann in die Praxis mitgenommen und eine MFA hat auf sie aufgepasst. Es ist auch schon mal vorgekommen, dass ich die Praxis schließen musste. Meine Vorgängerin ist dann als Vertretungsärztin eingesprungen.

 MG 6388 KopieWas mögen Sie besonders gern an Ihrem Beruf als Hausärztin?
Ich mag es, die Leute zu begleiten und für sie da sein zu können. Das ist als Hausärztin viel besser möglich als in allen anderen Fachbereichen. Man kennt die Familien und hat eine Idee, wie das System zuhause funktioniert. Insbesondere im Einzugsgebiet der Praxis kommen viele Familien aus dem Arbeitermilieu. Da ist man als Hausarzt eine Instanz, die auch mit anderen Problemen kontaktiert wird. Ich finde, es gibt viele Menschen, die durch das System fallen und als Hausarzt kann man das zumindest ein bisschen auffangen.

„Im Studium konnte ich mir auch noch nicht vorstellen, als Hausärztin zu arbeiten.“

Sie sind auch Referentin bei der Nachwuchsinitiative und begeistern dort mit einem schonungslos ehrlichen Vortrag. Warum ist das für Sie wichtig, Ihre Erfahrungen weiterzugeben?
Viele Kolleginnen und Kollegen gehen bald in Rente. Das bekomme ich in meiner direkten Umgebung vermehrt mit. Viele von denen haben noch keinen Nachfolger/keine Nachfolgerin. Aber mir es ist natürlich wichtig, auch in Zukunft die hausärztliche Versorgung aufrechtzuerhalten. Das schaffen wir nur, wenn wir uns alle mehr austauschen, netzwerken und im Verbund arbeiten.

„In der hausärztlichen Praxis habe ich deutlich mehr seltene Erkrankungen gesehen als im Krankenhaus.“

Im Studium konnte ich mir auch noch nicht vorstellen, als Hausärztin zu arbeiten. Überspitzt gesagt, wollte ich mich nicht den ganzen Tag mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit beschäftigen. Die Realität sieht anders aus: In der hausärztlichen Praxis habe ich deutlich mehr seltene Erkrankungen gesehen als im Krankenhaus. Nach meinen Vorträgen bekomme ich oft die Rückmeldung von den Studierenden, dass der Weg in die Medizin sehr leistungsorientiert ist. Sie finden es sehr befreiend, wenn sie hören, wenn es auch andere Karrierewege gibt, die nicht so gradlinig verlaufen sind. Denn gerade in der Hausarztmedizin kann man ja Wissen aus allen Fachbereichen brauchen.

Ich hatte als Studierende wenig Berührungspunkte mit Berufsverbänden. Ich finde es daher wichtig, Nachwuchsmedizinern frühzeitig aufzuzeigen, wie das System funktioniert.

Was würden Sie angehenden Ärztinnen und Ärztinnen gerne sagen?
Medizin ist bunt. Es geht in unserem Beruf nicht nur um Leitlinien – natürlich auch – sondern auch um den individuellen Menschen.

Interview: Simone Zettier

Maren Haiges

  • Allgemeinärztin und Ärztliche Psychotherapeutin, niedergelassen in Bochum
  • Bisherige Stationen: Prosper Hospital Recklinghausen, Herz-Jesu-Krankenhaus Münster: Anästhesistin (Narkoseärztin), Intensivmedizinerin, Schmerztherapeutin, Notärztin, Abteilung für Innere Medizin in Dülmen: Weiterbildung mit Schwerpunkten Kardiologie, Gastroenterologie und Onkologie; Weiterbildungsassistentin in einer Hausarztpraxis in Bochum Riemke 
  • Referentin der Nachwuchsinitiative Allgemeinmedizin

 Interview: Simone Zettier

Fotos: Praxis Maren Haiges